I. Ausgangslage

Die Untersuchungshaft in Deutschland, verkürzt auch einfach als U-Haft bezeichnet, dient der Sicherung der Durchführung eines geordneten Strafverfahrens. Zweck ist, dass das rechtsstaatliche Strafverfahren keine negativen Einwirkungen von außen durch den Beschuldigten erfahren soll. Die Durchsetzung des Anspruchs der staatlichen Gemeinschaft auf vollständige Aufklärung der Tat und die rasche Bestrafung des Täters sollen gesichert werden. Daher bedarf es eines dringenden Tatverdachts, eines Haftgrundes und die die Untersuchungshaft muss verhältnismäßig sein.

Die Haftgründe richten sich nach §§ 112 und 112a der Strafprozessordnung. Die Haftgründe in § 112 StPO sind die Flucht, die Fluchtgefahr, sowie die Verdunkelungsgefahr. Diese Haftgründe dienen somit der Sicherung des geordneten Strafverfahrens und einer späteren Vollstreckung des ausgesprochenen Urteils.

Der § 112a StPO stellt eine Ausnahme im System dieser repressiven Ansätze dar. Der Haftgrund der Wiederholungsgefahr ist eine vorbeugende Maßnahme der Sicherungshaft und dementsprechend präventiver Natur und deshalb den Voraussetzungen des § 112 StPO gegenüber subsidiär in der Anwendung.

Der § 112a Absatz 1 StPO unterscheidet hierbei in zwei Kategorien von Anlasstaten: Zum einen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung sowie die Nachstellung, deren einmalige Begehung weitere Taten ähnlicher Art befürchten lassen.

Zum anderen fasst die Nummer 2 verschiedene Delikte aus unterschiedlichen Deliktsbereichen in einem Straftatenkatalog zusammen, welche vor allem im Bereich der Serien- und Intensivtätern erfahrungsgemäß zahlreich vorkommen. Diese Anlasstaten müssen wiederholt oder fortgesetzt begangen worden sein und diese Straftaten die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigen. Hierzu gehören Delikte aus dem Bereich des Terrorismus, der Körperverletzung, des Diebstahls, des Betruges, gemeingefährliche Straftaten wie Brandstiftung und der räuberische Angriff auf Kraftfahrer sowie Delikte aus dem Bereich des Betäubungsmittelgesetzes und des Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetzes.

Obwohl Delikte aus dem Bereich der Körperverletzung und des Diebstahls im Straftatenkatalog des § 112a StPO aufgelistet sind, handelt es sich hierbei um qualifizierte Delikte, nicht um die Grunddelikte nach § 223 sowie § 242 StGB. Der Betrug ist hingegen als Grundtatbestand, neben den qualifizierten Tatbeständen, im Straftatenkatalog aufgelistet.

Gerade im Hinblick auf die Voraussetzung der Wiederholungsgefahr führt dies zu einer Ungleichgewichtung der einzelnen Kategorien; denn während der Betrug als Grunddelikt aufgezählt wird, fallen die „einfache“ Körperverletzung sowie der „einfache“ Diebstahl aus der Auflistung heraus. Die Wiederholungsgefahr des § 112a StPO verlangt die Begehung weiterer erheblicher Straftaten gleicher Art oder der Fortsetzung der Straftat. Straftaten „gleicher Art“ liegen vor, wenn das bisherige und zukünftig zu erwartende Verhalten des Beschuldigten im Erscheinungsbild übereinstimmen. Gleichartig sind die jeweiligen Deliktsgruppen in dem Straftatenkatalog des § 112a Absatz 1 Nr. 2 StPO; dasselbe Strafgesetz muss hingegen nicht zu erwarten wiederholt werden. [1]

Da die §§ 223 und 242 des Strafgesetzbuches nicht in diesem Katalog aufgeführt sind, führt dies zu dem praxisrelevanten Fall, dass in Fällen der wiederholten Körperverletzung bzw. des wiederholten Diebstahls, diese Delikte nicht als Prognosemaßstab herangezogen werden dürfen. Es hängt daher nur vom Zufall ab, ob ein qualifizierter Straftatbestand wiederholt erfüllt wurde, um eine Untersuchungshaft rechtfertigen zu können.

Die Einbindung der §§ 223 und 242 StGB würden auch nicht zu ausufernden Anordnungen der Untersuchungshaft nach § 112a StPO führen, da Absatz 1 Nr. 2 explizit eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Rechtsordnung durch die vorangegangenen Straftaten voraussetzt. Dies sind Anlasstaten, die einen überdurchschnittlichen Schweregrad und Unrechtsgehalt aufweisen. [2] Ferner müssen sie geeignet sein, das Vertrauen in Sicherheit und Rechtsfrieden in weiten Kreisen der Bevölkerung zu beeinträchtigen. [3] Somit kommen gemäß § 112a Abs. 1 Nummer 2 StPO nur Delikte in Betracht, die mindestens dem Bereich der mittleren Kriminalität entsprechen.

Eine weitere systematische Unvollständigkeit ist der fehlende § 323a StGB. Delikte, welche im Vollrausch begangen worden sind, unterfallen bisher nicht dem Straftatenkatalog des § 112a StPO. Stattdessen soll eine analoge Anwendung des § 112a StPO herangezogen werden, um den vollkommen Schutz der Allgemeinheit vor gefährlichen Wiederholungstätern sicherzustellen. [4] Da der Wortlaut des § 112a Absatz 1 StPO jedoch abschließend ist und § 323a StGB nicht aufgezählt wird, ist im Hinblick auf Art. 104 Absatz 1 des Grundgesetzes eine Klarstellung im Gesetzestext notwendig.

II. Der Landtag stellt daher fest:

  1. Die Untersuchungshaft aufgrund des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr ist ein wirksames Mittel, um präventiv die Allgemeinheit vor erheblichen Straftaten von Serien- und Intensivtätern zu schützen; zur Erreichung dieses Zweckes ist die Untersuchungshaft im Bereich des Haftgrundes der Wiederholungsgefahr jedoch reformbedürftig, um sowohl das Grunddelikt des Diebstahls, als auch der Körperverletzung in den Straftatenkatalog des § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO aufzunehmen.
  2. Der Straftatbestand des § 323a StGB ist zwecks Rechtssicherheit in den Katalog des § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO aufzunehmen.

III. Der Landtag fordert die Landesregierung auf,

  1. im Bundesrat einen Gesetzentwurf zur Änderung des § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO einzubringen, um die Grunddelikte der Körperverletzung gemäß § 223 StGB sowie des Diebstahls gemäß § 242 StGB in den Straftatenkatalog einzufügen.
  2. im Bundesrat einen Gesetzentwurf zur Änderung des § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO einzubringen, um das Delikt des Vollrauschs gemäß § 323a StGB in den Straftatenkatalog einzufügen.

Thomas Röckemann

[1] Posthoff in: Gercke/Julius/Temming/Zöller, Strafprozessordnung, 6. Aufl. 2019, § 112a Haftgrund der Wiederholungsgefahr, Rn. 17

[2] OLG Hamm, Beschluss vom 01. April 2010 – 3 Ws 161/10 –

[3] OLG Hamm, Beschluss vom 25. Februar 2010 – III-2 Ws 18/10 –

[4] OLG Hamm, Beschluss vom 30. April 1974 – 2 Ws 108/74 –